Einleitung
Am 6. Februar 1945 stach das deutsche Truppentransportschiff Wartheland von der ostpreußischen Hafenstadt Pillau
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aus in See. In Danzig/Stettin in See sollten Passagiere an Bord genommen werden, bevor die Reise in Richtung Kopenhagen fortgesetzt wurde. Es war eine gefährliche Passage. Die Wartheland riskierte, von sowjetischen U-Booten oder sowjetischen und alliierten Flugzeugen angegriffen zu werden, die deutsche Schiffe in der Ostsee jagten. beziehungsweise auf eine Seemine zu laufen. Beinahe jede Nacht wurden Seeminen von britischen Flugzeugen über der Danziger Bucht abgeworfen oder von sowjetischen Marineschiffen auf den deutschen Seefahrtrouten ausgesetzt.
Die Wartheland durchquerte unbehelligt die Ostsee, hatte aber ernste Probleme an Bord, so dass das Schiff am Sonntag, den 11. Februar im Laufe des Vormittags am Ankerplatz »Paul« (vermutlich im Øresund) stoppte, und ca. um 12:00 Uhr einen deutschen Konvoi um Hilfe bat. Der Konvoi, der aus drei Minenlegern, zwei Minenräumbooten und einem Vorpostenboot (einem Patrouille-Schiff mit Luftabwehrgeschütz) bestand und uf dem Weg von Swinemünde nach Kopenhagen war, stoppte ebenfalls, und das Vorpostenboot Midlum brachte einen Arzt, einen Sanitäter sowie Verbandsmaterial und Arzneimittel von dem Minenleger Ostmark auf die Wartheland. Um 13:56 Uhr, als die Operation beendet war, fuhr die Wartheland mit dem Konvoi nach Kopenhagen. Um 17:15 Uhr passierten die Wartheland und die übrigen Schiffen den Leuchtturm Drogden Fyr zwischen Amager und Saltholm, und kurz nach 19:00 Uhr legte die Wartheland am Kai des Kopenhagener Freihafens an.
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Es war nicht der erste Besuch der Wartheland in Kopenhagen. Am 2. Oktober 1943 war das Schiff mit einhundertachtundneunzig Juden an Bord von der Langelinie nach Swinemünde aufgebrochen, die in der vorhergehenden Nacht verhaftet worden waren. Dazu kamen einhundertfünfzig Kommunisten auf dem Lager Horserødlejren in Nordseeland. Von Swinemünde wurden die Juden mit den Zug ins Ghetto Theresienstadt gebracht, während die Kommunisten ins Konzentrationslager Stutthof gebracht wurden. Die Wartheland war seither zwischen verschiedenen Ostseehäfen und Häfen in Norwegen und Dänemark unterwegs gewesen. Zwei Mal war das Schiff auf Minen gelaufen, einmal war es bombardiert worden, doch die Schäden konnten repariert werden, so dass die Wartheland weiterhin deutsche Soldaten und Material im Ostseegebiet transportieren konnte.
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Die deutschen Verantwortlichen in Kopenhagen hatten die Wartheland eigentlich bereits am 9. Februar erwartet, doch die Überfahrt verzögerte sich aufgrund der chaotischen Verhältnisse in den Ostseehäfen und den Schwierigkeiten, das Schiff zum Auslaufen vorzubereiten. Denn die Passagiere, die die Wartheland diesmal nach Kopenhagen brachte, waren weder Soldaten auf dem Weg zum Einsatz oder in den Urlaub, sondern zweitausendachtundzwanzig Verwundete, von denen tausendzweihundertfünfzig Personen so versehrt waren, dass sie auf Bahren liegen mussten, während siebenhundertachtundsiebzig aufrecht sitzen konnten. Dazu kamen zweihundert Flüchtlinge, einhundertfünfzehn Sanitäter sowie die Leichen von fünfundzwanzig Soldaten und Flüchtlingen, die während des Transports gestorben waren.
Der deutsche Arzt Horst Forster war unter den Ersten, die nach der Ankunft in Kopenhagen an Bord der Wartheland gingen: […]
Die Warteland war des erste deutsche Flüchtlingsschiff, das in Dänemark ankam. Im Laufe der folgenden drei Monate brachten mindestens 117 weitere Schiffe – außerdem eine kleine Anzahl U-Boote und kleinerer Boote sowie ein Schwimmdock, einige Prahme und eine Handvoll Wasserflugzeuge –zwischen zweihunderttausend und zweihundertfünfzigtausend deutsche Flüchtlinge von Ostpreußen, aus dem Baltikum und Pommern nach Dänemark. Weder die deutsche Besatzungsmacht oder die dänischen Behörden, die am 5. Mai 1945 die Aufgabe übernahmen, hatten einen Plan oder die Ressourcen, um mit dieser gewaltigen Menge an verzweifelten Menschen– vor allem Frauen, Kinder und ältere Männer – umzugehen, von denen viele unterernährt oder auf andere Weise in ausgesprochen schlechter Verfassung waren – traumatisiert nach Wochen oder Monaten der Flucht vor der anrückenden Roten Armee.
Die Flüchtlinge kamen in ein Land, wo die allgemeine Mitmenschlichkeit und das Bewusstsein über die Verpflichtungen eines demokratischen Staats gegenüber Menschen in Not mit heftigen antideutschen Gefühlen konkurrierten.
Für viele Dänen – vermutlich für die meisten – repräsentierten die Flüchtlinge den Feind, der Dänemark fünf Jahre besetzt hatte, und der seit dem Herbst 1944 immer brutaler bei dem Versuch aufgetreten war, die wachsenden Widerstand gegen die Besetzung zu unterdrücken.
Vom Herbst 1944 bis kurz vor der Befreiung wurden bis zu fünftausend Dänen in deutsche Konzentrationslager oder Zuchthäuser deportiert. Die Gesamtzahl der Deportierten während der Besetzung – Juden, Polizisten, Kommunisten, Widerstandskämpfer, »Gewohnheitsverbrecher«, »Asoziale«, zufällige Zivilisten, die bei Razzien verhaftet wurden – lag bei ca. sechstausendeinhundert Personen.
Von den Deportierten waren tausendneunhundertvierundachtzig Polizisten, die knapp ein Jahr nach der Deportation der dänischen Juden und Kommunisten verhaftet wurden. Die meisten der übrigen siebentausend Polizisten waren in den Untergrund gegangen und zum Teil durch sogenannte Hipo-Einheiten (Hilfspolizei) ersetzt worden, die hauptsächlich aus Mitgliedern des dänischen SS-Korps bestanden, des Schalburgkorps. Die Hipo-Männer wendeten routinemäßig Folter an, und wie das Schalburgkorps verhielten sie sich in der Öffentlichkeit provozierend und gewalttätig. Sie waren häufig beteiligt an den Schusswechseln zwischen Deutschen und ihren dänischen Verbündeten auf der einen und der Widerstandsbewegung auf der anderen Seite. Seit Ende 1944 wurden Schießereien in den Straßen in bestimmten Städten beinahe zu alltäglichen Ereignissen. Mit der zunehmenden Aggressivität der Widerstandbewegung wandten auch die deutschen Verantwortlichen und ihre dänischen Helfer immer brutalere Methoden an. Von den einhundertzwei während der Besetzung hingerichteten Dänen wurden fünfundsechzig im Frühjahr 1945 umgebracht. Die Deutschen griffen darüber hinaus zur Maßnahme des »Gegenterrors«: Sabotage wurde mit der Zerstörung von Objekten vergolten, die für die dänische Zivilbevölkerung von besonderer Bedeutung waren – zum Beispiel das Tivoli oder die Veranstaltungshalle K.B.-Hallen –; und die Tötung von Deutschen und ihren dänischen Helfern wurde mit der Hinrichtung ziviler Geiseln oder der Ermordung von mehr oder weniger herausragenden Persönlichkeiten der Gemeinde vergolten, in der eine Deutscher oder ein Kollaborateur getötet worden war. Eine besonders blutige Variante dieses Gegenterrors waren Bombenangriffe auf Passagierzüge, die Dutzende von Menschen das Leben kosteten.
Die Tage der Befreiung, als die Verantwortung für die Flüchtlinge von der deutschen Wehrmacht auf die dänischen Behörden überging, gehören zu der blutigsten Periode während der Besetzung: In den Tagen vom 4. Bis zum 13. Mai wurden siebzig Widerstandkämpfer und Mitglieder der Den Danske Brigade im Kampf mit den Deutschen oder ihren dänischen Hilfskorps getötet, und einunddreißig kamen durch Schusswaffenunfälle ums Leben oder wurden versehentlich von den eigenen Leuten erschossen.
Die dänischen Beamten und andere Schlüsselpersonen, bei denen die deutschen Militärbehörden Unterstützung suchten, um mit der Flüchtlingskrise im Februar bis April 1945 fertig zu werden, trafen ihre Entscheidungen vor diesem Hintergrund. Ebenso die dänischen Politiker, die nach dem 5. Mai 1945 die Verantwortung für das Problem übernahmen. Viele Entscheidungsträger teilten vermutlich die Auffassung, dass die Flüchtlinge für die Verbrechen der Nazis mitverantwortlich waren – zumindest konnten sie die Stimmung in der Bevölkerung nicht ignorieren.
Aber abgesehen von der Rücksicht auf die antideutsche Volksstimmung wollten die dänischen Politiker Dänemarks Ressourcen auch lieber nutzen, das Land nach der Besetzung wieder in Schwung zu bringen, als nahezu eine Viertelmillion unerwünschter Gäste einzuquartieren und zu ernähren. Auf der anderen Seite waren sie sich darüber im Klaren, dass die zukünftige internationale Beurteilung Dänemarks zum Teil auch davon abhing, wie man diese Flüchtlinge behandelte.
Doch egal, ob die Motive der dänischen Entscheidungsträger, sich trotz allem um die Flüchtlinge zu kümmern, überwiegend human oder realpolitisch waren, war es doch eine unabänderliche Tatsache, dass die Flüchtlinge nun einmal im Land waren, und es oblag nicht Dänemark zu entscheiden, wann sie wieder ausreisen könnten. Es hing voll und ganz der Bereitschaft der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der UDSSR ab, diese Menschen in den jeweiligen Besatzungszonen in Deutschland aufzunehmen, in denen die Zivilgesellschaft zerstört war, die Bevölkerung hungerte und es Millionen von Flüchtlingen und Heimatlosen gab.
Die dänische Lösung hieß, die Flüchtlinge auf einem Niveau zu versorgen, das man »uns selbst gegenüber und der Zukunft gegenüber«
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vertreten konnte, das aber gleichzeitig niedrig genug war, um die Bevölkerung nicht zu provozieren. Man internierte die Flüchtlinge in bewachte Lager, um die dänische Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten und nationalsozialistischer Beeinflussung zu bewahren, um die Flüchtlinge vor Übergriffen rachsüchtiger Dänen zu schützen und vor allem, um sie unter Kontrolle zu haben und zu vermeiden, dass sie sich in die dänische Gesellschaft integrierten, da es dann weitaus schwieriger würde, sie abzuschieben, sobald es möglich würde.
Die Viertelmillion Flüchtlinge, die sich bei der Befreiung in Dänemark befanden, waren ein akutes Problem, das man zunächst mit ungefähr denselben improvisierten Mitteln zu lösen versuchte, die die deutschen Verantwortlichen angewandt hatten – Einquartierung in Schulen, Sporthallen, Versammlungshäusern, Hotels, Kasernen usw. –, und so weit wie möglich, ohne in dauerhaftere Anlagen und Einrichtungen zu investieren. Erwartet wurde, dass die Flüchtlinge im Laufe von einigen Monaten wieder außer Landes waren. Als Ende Juli 1945 klar war, dass die Flüchtlinge in jedem Fall den Winter 1945-46 in Dänemark verbringen würden, mussten andere und tragfähigere Lösungen gefunden werden. Das Ergebnis war die Einsetzung einer staatlichen Flüchtlingsadministration und die Schaffung von großen Flüchtlingslagern im ganzen Land, von denen das Oksbøllejren in Jütland und das Lager auf Kløvermarken bei Kopenhagen die größten waren. Die neue Infrastruktur ermöglichte es, die Flüchtlinge auf wenige Orte zu konzentrieren und die beschlagnahmten Schulen und andere Einrichtungen wieder ihren eigentlichen Zwecken zuzuführen.
Durch den Umzug in die neuen Lager wurde den Flüchtlingen rasch bewusst, dass ihr unfreiwilliger Aufenthalt in Dänemark von längerer Dauer sein würde, als sie es sich vorgestellt hatten. Von einem akuten Problem, für das es im Laufe des Sommers 1945 eine Lösung geben würde, wie viele vielleicht gehofft hatten, wurde die Situation nun sozusagen chronisch. Sie erwartete auf unbestimmte Zeit ein Leben hinter Stacheldraht, ohne dass sie wussten, wohin sie geschickt wurden, wenn sie irgendwann die Internierungslager verließen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie keine oder nur sehr geringe Möglichkeiten, ihre eigene Situation zu beeinflussen.
Am 24. März 1945 flüchtete Charlotte Sch. und ihr Mann aus ihrem Haus in der Danziger Vorstadt Langfuhr, nachdem das Haus von einer sowjetischen Artilleriegranate getroffen worden war. Am 4. April erreichte das Paar Kopenhagen mit dem Passagierdampfer Deutschland. Am 9. Juni 1946 befanden Charlotte Sch. und ihr Mann sich im Lager Nr. 126 in Dragør bei Kopenhagen. Hier notierte sie in ihrem Tagebuch:
»Pfingstsonntag !! Wieder ein Fest fern der Heimat, ob wir wohl im nächsten Jahr zu Pfingsten auch noch hier sind!! Es wäre nicht auszudenken. (…) Diе Nachrichten, die jetzt von den Danzigern kommen, die dort geblieben sind, sind furchtbar!! Die Frauen fast alle vergewaltigt von den Russen und oft geschlechtskrank – später kamen dann die Polen und sie mußten doch die Heimat verlassen, entblößt oft von allem, mußten sie oft barfuß kilometerweit wandern, sodaß ihnen die Fußnägel abgingen weil sie unter Eiter waren. (…)
Es ist so schwer, der Verstand sagt: ›Bleibe noch hier‹, das Herz sagt nur immer ›Heimat‹. Wir haben aber keine Wahl – vielleicht ist das gut. Wir kommen ja hier nur durch das Rote Kreuz hinaus – selbst mit einer dringenden Einreiseerlaubnis darf man wegen Ernährungsmangel vor der neuen Ernte nicht nach Hause.«
Am 17. September nahm sie ihre Tagebucheinträge nach einer längeren Krankheitspause wieder auf:
»Es ist entsetzlich, aus jeder kleinen Wunde wird eine große Sache, Entzündung und Eiterung, der Körper hat bei der einseitigen Ernährung keine Abwehrstoffe. Obst bekommen wir überhaupt nicht – und besorgen wir uns etwas, wird es uns weggenommen wie mir nеulісh 2 Citronеn und 2 Äpfel. (...)
Na einmal muß diese Misere ja ein Ende nehmen! Inzwischen ist von Herbert und Wolf viel Post gekommen, beiden geht es ganz gut, Herbert hat schon wieder ein eigenes Zimmer und ein paar Möbel usw. Wolf hat schon verschiedene Sachen für uns gekauft. Wenn wir nur erst in Deutschland wären!«
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Es ist nicht bekannt, wann Cahrlotte Sch. und ihr Mann das Lager in Dragør verließen. Die ersten Flüchtlinge verließen Dänemark im November 1946, die letzten am 15. Februar 1949.
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
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Die Formulierung stammt vom Leiter der Flüchtlingsadministration Johannes Kjærbøl und wird hier zitiert nach John V. Jensens Artikel »… over for os og over for Fremtiden – Den danske Rigsdag og de tyske flygtninge«, dessen Analyse die wesentliche Basis dieses Abschnittes ist.